Einführender Text – Ramona Wegenast

Salon-Ausstellung: Müller & Sohn – „Wege – Teil 1“
Sehr geehrte Damen und Herren, sehr geehrter Herr Jahnke, lieber Andreas Hykade und vor allem, liebe Irene und lieber Diethard,
Ich freue mich sehr, heute Abend hier sein zu dürfen, um einige erklärende Worte zu den Arbeiten des Künstler-Duos Müller & Sohn zu sagen.
Der kurze Filmtrailer zu Beginn hat uns schon einen ersten Einblick in die Ausstellung, die sich im Salon im Untergeschoss befindet, gegeben.
Die Ausstellung „Wege – Teil 1“, die Sie ab heute hier im Kunstverein Ludwigsburg sehen können, zeigt die Ergebnisse des ersten, vor ca. einem Jahr gestarteten gemeinsamen künstlerischen Projektes von Irene Müller und Diethard Sohn.
Irene Müller hat Malerei und Visuelle Kommunikation in Augsburg und Stuttgart studiert. Diethard Sohn freie Kunst in Stuttgart.
Ursprung für ihre Zusammenarbeit war eine gemeinsame Wanderung durch das Tannheimer Tal in Österreich. Rote Bänke säumen dort die Wege und laden zum Ausruhen und Ausschauhalten ein. Diese roten, den Weg flankierenden und die Landschaft dadurch mitbestimmenden Elemente, leiten auch durch die Ausstellung. Wie der berühmte „Rote Faden“ ist die Farbe Rot Wegweiser, gestaltendes Element und Grenzmarkierung. Sie wurde installativ in die Ausstellung eingebettet, findet sich aber auch in den Malereien wieder.
Alle Bilder, die Sie unten im Salon sehen können, sind das Ergebnis der künstlerischen Auseinandersetzung der beiden Maler mit ihren Experimenten, die sie in Österreich durchgeführt haben und die Sie in kurzen Ausschnitten im Video gesehen haben. Es handelt sich um Malereien, die nach den gemeinsamen Performances entstanden sind, individuell von jedem der beiden auf seine Art und Weise verarbeitet und in Malerei übersetzt.
Die Methode, die Müller & Sohn gewählt haben erinnert an eine natur-wissenschaftliche Herangehensweise – künstlerische Forschung in der Natur – das Durchführen von Experimenten, ein Ausprobieren und Testen von kurzzeitig die Gegebenheiten verändernden Eingriffen.
Wenn Sie den Ausstellungsraum betreten, sehen Sie sowohl diese experimentelle Forschungsarbeit als auch die Endergebnisse in Form der Malereien. Gleich im Eingangsbereich sind drei Filme zu sehen (sehr zusammengeschnitten haben wir diese schon im kurzen Trailer gesehen). Angeordnet wie ein Triptychon sind drei in Holzrahmen gefasste Monitore in den Wandnischen installiert. Sie zeigen die verschiedenen Interaktionen, die zu unterschiedlichen Jahreszeiten im Tannheimer Tal stattgefunden haben. Wie auch in ihrer Kunst bilden diese auch in der Ausstellung eine Art Ausgangspunkt.
Orientiert am Rot der Bänke sind die beiden Künstler mit roten in Streifen zugeschnittenen Tüchern in die Berge gegangen und haben diese in unterschiedlichen Formationen und an unterschiedlichen Stellen in die Landschaft gelegt oder gehängt. Sie haben damit den Raum verändert und neue Wege aufgezeigt, vorgefundene Wege abgewandelt.
Was passiert durch solche Interventionen? Wie verändert sich der Raum? Wie verändert sich die Wahrnehmung? Wie reagieren Passanten aber auch die Tierwelt – allen voran die zahlreichen Kühe – deren gewohntes Terrain von Müller & Sohn ganz bewusst verändert wurde?
Es entstehen Grenzen, wo vorher keine waren – auf Wanderwegen, auf Hütten oder Bänken. Dadurch werden uns – dem Betrachter – aber auch den vorbeiwandernden Passanten die Eingriffe, die der Mensch in die Natur vornimmt – sehr deutlich vor Augen gehalten. Das sind nicht mal so sehr die künstlerischen Eingriffe, die ja nur temporär waren, sondern vielmehr die Eingriffe im Allgemeinen, die die Natur verändern und für die die roten Bänken nur symbolisch stehen.
Begibt man sich weiter in den großen Ausstellungsraum werden gleich zwei Sinne beansprucht. Das Sehen und das Hören – wir sehen die unterschiedlichen Bilder. Landschaften, die Irene Müller erschaffen hat und Portraits von Kühen, die Diethard Sohn gemalt hat. Dazwischen und darüber die roten Tücher, die unseren Blick weisen und irritieren. Wir sehen kleine Steinsäckchen, die als Gewichte fungiert haben, um die großen Tücher über Häuser und Bänke werfen zu können und wir hören die Natur: Den Wind, die Vögel, die Glocken der Kühe. Der Sound verwirrt den Betrachter am meisten. Sofort beginnt man sich umzuschauen, vermutet man Kühe hinter einer Ecke, fragt sich, wo genau das Läuten her kommt. Und so sind die Bilder auch angeordnet. In Ecken findet man so detailgenau gemalte „Kuh-Bilder“, dass man das Gefühl hat, ein „echtes“ Tier schaut einen an. Befremdlich, etwas beängstigend und gleichzeitig in seiner Eigenart wunderschön.
Den Abschluss und zugleich den Mittelpunkt der Ausstellung bildet das Triptychon an der Stirnwand des Raums. Eine Gemeinschaftsarbeit von Irene Müller und Diethard Sohn. Es zeigt eine Kuh in einer Waldlandschaft, die einen Weg entlang geht, der mit roten Tüchern ausgelegt ist. Sehr humorvoll haben sich die beiden Künstler dieser Arbeit angenommen. Sie zeigt die Kuh in all ihrer Präzession – Detaillgenau streckt sie uns ihr Hinterteil entgegen.
Auffallend sind die christlichen Attribute – das rote Tuch, mal von der Decke hängend, mal am Boden liegend – erinnert es beispielsweise an die Prozessionen zu Fronleichnam. Die Dreiteiligkeit des Triptychons findet sich sowohl im gemeinsam gemalten Werk als auch im Aufbau der Filmtrailer. Und auch die Landschaftsbilder von Müller sind in Dreiergruppen angeordnet. Ob bewusst oder unbewusst kommt somit zu den beiden Aspekten des künstlerischen und des wissenschaftlich/experimentellen der des Erhabenen, des Göttlichen. Es ist jedoch nicht etwas Sakral-Göttliches, das die beiden beschäftigt. Vielmehr ist es dieses Übernatürliche, was Müller & Sohn in der Natur entdeckt haben und dessen „Unterbrechung“ – nämlich die Eingriffe des Menschen – die sie versuchen in ihre Arbeit zu übertragen und mit Mitteln der Kunst zu hinterfragen und zu erforschen.
Endergebnisse dieser Forschungen sind die Malereien, die sowohl in der für Müller typischen Landschaftsmalerei als auch in den für Sohn üblichen Portraits zu sehen sind.
Wer die Arbeiten von Diethard Sohn kennt, weiß um seine, in handwerklicher Perfektion ausgearbeiteten Malereien. Bekannt ist er vor allen Dingen für seine im fotorealistischen Duktus gemalten Bilder, von denen allen voran seine kraftvollen Portraits überzeugen.
In den Arbeiten hier im Kunstverein hat er, ohne qualitative Einbuße, diese perfektionistische Arbeitsweise zumindest in Ansätzen abgelegt. Die Arbeiten zeigen „Leerstellen“, unfertige Stellen, die den Prozess des Malens darstellen und die damit auch das widergeben, was man vom wissenschaftlichen Arbeiten kennt. Prozesse, Entwicklungen, unvollendete Endergebnisse. Besonders gut zu sehen ist dies bei der Arbeit, die sie, wenn Sie runter kommen rechts direkt nach der Eingangstür, finden. Die Kuh lugt hinter der Bank hervor, an den Rändern skizzenhaft – als wäre sie am falschen Platz. Dabei sind insbesondere die Augen, die Blicke des Gegenübers im Bild, auffällig in ihrer Ausdrucksstärke. Schaut Sie bedrohlich oder friedlich? Auf jeden Fall hat sie uns im Blick! Sie traut uns nicht – sie beobachtet – wie wir sie beobachten. Es ist in der Ausstellung ein bisschen so, wie es auch in der Natur ist. Wir gehen durch den Ausstellungsraum und fühlen uns von den Blicken der Kühe beobachtet. Durch die Soundinstallation, die die Geräusche der Landschaft im Tannheimer Tal widergibt, fühlen wir uns wirklich wie Mitten in der Natur.
Wir hören das Läuten der Glocken lange bevor wir die Kühe selbst sehen können. Wir fühlen uns von den Tieren beobachtet – als würden sie auf eine Interaktion von uns Menschen warten, während wir einfach nur vorbeiwandern. Bei mir erweckt das immer ein Gefühl der Unsicherheit. Ein Gefühl des Respektes vor diesem Tier, in dessen Terrain wir uns bewegen. Genau dieses Gefühl schafft Diethard Sohn in seinen Malereien. Sie sind so direkt, so erdrückend und faszinierend, dass wir hinschauen müssen, den Blick nicht abwenden können und uns – die wir die Beobachter sind – selbst beobachtet fühlen.
Ganz anders sind die Malereien von Irene Müller. Während sich Diethard Sohn auf Einzelaspekte bezieht, hat sich Irene Müller der Landschaft zugewandt. Ihre Malerei zeichnet sich nicht durch fotorealistische Perfektion aus sondern vielmehr durch mal mehr und mal weniger abstrakte Landschaften. Irene Müller hat eine komplett andere malerische Herangehensweise: sehr sensibel, mit bewusst gewähltem Raum für eigene Ergänzungen und Gedanken. Es sind die Berge und Wälder, die wir sehen, die Wege, Bäume und Hütten und immer wieder die roten Bänder. Wir sehen Bilder in kühlem winterlichen blau und im frühlingsfrischen Grün. Und überall finden wir die roten Tücher. Mal als Wegweiser, mal als unklares, frei schwebendes Element, mal wie Blut nach unten laufend. Ob wir ihnen folgen sollen ist unklar.
Die Ausstellung von Irene Müller und Diethard Sohn zeigt – so verrät uns der Titel – erste Wege, die die beiden für ihre künstlerische Zusammenarbeit gegangen sind.
Weitere Wege, die wir heute nicht sehen, weil sie noch nicht in Bilder umgewandelt wurden führten sie in die Naturgewalten des Wattenmeeres. Dort waren die Eingriffe in die Natur, die sie durch das Auslegen der Bänder verdeutlichen wollten, ganz andere. Denn Wind und Regen lassen sich nicht so einfach unterbrechen oder mit Wegweisern versehen. Sie setzen ihre eigenen Grenzen und lassen menschliche Eingriffe viel schwerer zu.
Sicherlich ist es das, was Müller & Sohn reizt. Der Versuch einer künstlerischen Intervention in einer dieser gewaltvollen Landschaften. Was kann der Mensch bewirken? Wie reagiert die Natur? Und wie reagieren Natur und Mensch, wenn eine künstlerische Interaktion zu Irritation führt?
In Zukunft würden sie gerne noch enger mit Naturwissenschaftlern zusammenarbeiten. Eine Expedition in die Arktis… künstlerische Forschung gemeinsam mit Biologen und/oder Geografen. Das ist ein Ziel, dass Müller & Sohn noch erreichen möchten und einer der vielen Wege, die sie sie noch gemeinsam gehen werden.
Ich kann Sie nur dazu ermuntern und sehr herzlich dazu einladen, trotz des nun sicherlich sehr spannenden und unterhaltsamen Gesprächs, das nun folgt zwischen Andreas Hykade und Isabel Jägle und trotz des sommerlichen Wetters, im Anschluss nach unten zu gehen und sich die Ausstellung anzuschauen und anzuhören. Lassen Sie sich ein auf den Raum, die Bilder und die verschiedenen Sinne, die angesprochen werden. Es lohnt sich.
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